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Die geheimnisvolle Fahrt der "Morning Glory"

Ein schwer beladener Öltanker wird im Mittelmeer von US Navy Seals aufgebracht und zurück nach Libyen eskortiert. Dahinter steckt ein Deal, der einem Geschäftsmann das Leben kosten könnte. Von Alfred Hackensberger


Der damals unter dem Namen "Pergiwati" fahrende Öltanker "Morning Glory" im Jahr 2007 vor Singapur
Foto: dpa Der damals unter dem Namen "Pergiwati" fahrende Öltanker "Morning Glory" im Jahr 2007 vor Singapur 

Sie kamen in einem privaten Learjet und charterten unmittelbar nach der Landung ein Schiff. Der senegalesische und die zwei israelischen Geschäftsleute verloren keine Zeit, um die "Morning Glory" zu erreichen, die vor der Küste Zyperns kreuzte. Ein Tanker, der 234.000 Barrel Erdöl in einem Wert von 21,8 Millionen Euro geladen hatte.
Was auf dem Schiff im Mittelmeer verhandelt wurde, ist nicht bekannt. Aber ein Geschäft mit dem Erdöl kam nicht zustande.
Der Tanker wurde von einem Team der US-Spezialeinheit Navy Seals gekapert und vom Kriegsschiff "USS Stout" zurück nach Libyen eskortiert, wo es am Samstag den Behörden übergeben wurde. Dort war die "Morning Glory" von Rebellen gegen den Willen der Zentralregierung mit ihrer teuren Fracht beladen worden.
Nach seinem Sturz floh der libysche Ex-Premier Ali Zeidan
Foto: REUTERS Nach seinem Sturz floh der libysche Ex-Premier Ali Zeidan
Seit Sommer 2013 kontrollieren Rebelleneinheiten unter der Führung von Ibrahim Jadhran die Exporthäfen von Es Sider und Ras Lanuf (hier im Bild)
Foto: REUTERS Seit Sommer 2013 kontrollieren Rebelleneinheiten unter der Führung von Ibrahim Jadhran die Exporthäfen von Es Sider und Ras Lanuf (hier im Bild)
Die Geschäftsmänner, von denen zwei diplomatische Pässe besaßen, wurden auf Zypern kurzzeitig von der Polizei verhaftet und konnten aber wenig später wieder ihren Learjet besteigen. Sie flogen unverrichteter Dinge nach Tel Aviv zurück.

Geld, Macht und Einfluss

Was sich wie das Drehbuch eines Hollywood-Thrillers liest, ist nichts anderes als ein Bestandteil des internationalen Business um Erdöl, eine der lukrativsten Ressourcen unserer Erde. Dabei geht es um Geld, Macht und Einfluss – die klassischen Ingredienzen, die bis zum Krieg führen können.
In Libyen ist Erdöl die einzige lukrative Einnahmequelle des Staates. Das nordafrikanische Land ist nach dem Tod von Muammar Gaddafi im Oktober 2011 noch lange nicht zur Ruhe gekommen.
Bombenanschläge, Ermordungen und bewaffnete Konfrontationen sind an der Tagesordnung. Meist sind islamistische Terrororganisationen verantwortlich, die sich in Libyen festgesetzt haben.
Hinter dem Versuch, Öl zu exportieren, steckt die föderale Unabhängigkeitsbewegung Cyrenaica. Sie will mit Gewalt einen größeren Anteil an den Einnahmen aus der Erdölförderung erzwingen.
Seit Sommer 2013 kontrollieren Rebelleneinheiten unter der Führung von Ibrahim Jadhran die Exporthäfen von Es Sider und Ras Lanuf.

Dem Staat geht das Geld aus

"Durch die Besetzung und den Stopp der Ausfuhr hat Libyen viele Milliarden Euro an Verlusten gemacht", erklärte ein Manager der nationalen Ölfirma aus der Hauptstadt Tripolis, der unerkannt bleiben will. "Die Förderung steht größtenteils still, und dem Staat geht langsam, aber sicher das Geld aus."
Jadhran war als Milizenchef im Kampf gegen Muammar Gaddafi bekannt geworden. Heute präsentiert er sich als Führungsfigur der Cyrenaica. Sie will nicht nur Autonomie, sondern am besten gleich die Abspaltung vom Rest von Libyen.
Das Gebiet Cyrenaica geht auf den gleichnamigen Verwaltungsbezirk zurück, den die Italiener während ihre Besetzung (1927-1943) im Osten des Landes entlang der Mittelmeerküste eingerichtet hatten. Sowohl die Briten (1943-1951) als auch das Königreich Libyen (1951-1963) hielten an dieser Einteilung fest.
Jadhran wirft der Zentralregierung in Tripolis Korruption und die grobe Vernachlässigung der Rechte des Ostens vor. Im November letzten Jahres ernannte er Abd-Rabbo al-Barassi zum Premierminister des "Cyrenaica-Politbüros", gründete eine eigene Zentralbank und eine Erdölgesellschaft.

Auslaufen konnte nicht verhindert werden

Bisherige Versuche, das schwarze Gold aus libyschem Boden zu exportieren, waren fehlgeschlagen. Mehrere Schiffe hatten vor Es Sider gekreuzt, waren aber von libyschen Marinebooten erfolgreich daran gehindert worden, einzulaufen.
Die "Morning Glory" war der erste große Tanker, dem es seit Juli 2013 gelang, Erdöl zu laden. Die Regierung in Tripolis erklärte das für illegal und drohte, das Schiff zu bombardieren, sollte es versuchen, mit der wertvollen Fracht auszulaufen.
Statt Flugzeugen setzte man jedoch auf die Marine. Sie konnte das Auslaufen der "Morning Glory" aber nicht verhindern. Die kleinen bewaffneten Boote mussten wegen schlechten Wetters und zu hohen Seegangs in den Hafen zurückkehren.
Alle libyschen Militärschiffe, die den Tanker hätten stoppen können, waren bei den Luftangriffen der Nato im Bürgerkrieg zerstört worden. Die "Morning Glory" entkam in internationale Gewässer.
Als Folge wurde Premierminister Ali Zeidan vom libyschen Parlament abgewählt und mit einem Reiseverbot belegt. Zeidan, der um sein Leben fürchtete, flüchtete mit einem Privatjet zuerst nach Malta und dann nach Deutschland.
Der ehemalige Premierminister hält seine Absetzung für einen Komplott der Muslimbruderschaft, die in der libyschen Politik eine zunehmend starke Rolle spielt.

Nordkorea dementiert

Die "Morning Glory" fuhr unter der Flagge Nordkoreas. Viele glaubten, das aus Libyen gestohlene Öl sei für die stalinistische Diktatur in Asien bestimmt.
Aber Nordkorea dementierte und zog die Flaggenlizenz zurück. "Wir haben den Kapitän mehrfach aufgefordert, kein Öl zu laden und auch den libyschen Hafen zu verlassen", hieß es in einer offiziellen Presseerklärung aus Pjöngjang.
Allerdings hatte der Kapitän, Mirza Noman Baig, keine große Wahl. Drei bewaffnete Rebellen der Cyrenaica-Bewegung hatten sein Schiff gekapert und bestimmten auf der Brücke, was zu tun sei.
Das Unternehmen "Morning Glory" scheint von langer Hand geplant gewesen zu sein. Bereits im November wurde der aus Pakistan stammende Kapitän für 6500 Euro im Monat angeheuert. Die in Dubai ansässige Saudi-Shipping-Firma stellte den Vertrag aus. Sie gehört zur ZAD-Gruppe, die sich als "Global Player" in Sachen Öl und Petroleum versteht und fünf Büros mit insgesamt 450 Angestellten im Nahen Osten und in Afrika unterhält.
Den Befehl, nach Libyen zu fahren, habe Kapitän Baig direkt von Saud al-Anazi erhalten, dem Chef der ZAD-Gruppe. Dieser leugnet jedoch eine Beteiligung am Versuch, das Öl der Rebellen zu verkaufen. Er gibt auch keine Informationen über den Eigentümer der "Morning Glory" preis. Die hieß vor einem Monat noch "Gulf Glory" und wurde vom Fal-Shipping-Unternehmen in den Vereinigten Emiraten verwaltet. Bis zum 27. Februar war der Tanker dort versichert.

Der illegale Export wiegt schon schwer genug

Danach wechselten der Eigentümer und der Flaggenstatus. Angeblich soll es einen Käufer aus Libyen gegeben haben, der von Nordkorea eine Lizenz für sechs Monate erhielt.
Eine nordkoreanische Flagge wird gewöhnlich benutzt, um die Eigentumsverhältnisse eines Schiffes zu verschleiern. Kapitän Baig ging im November in Eritrea an Bord der "Morning Glory", die später den Suezkanal passierte.
Auf ihrer Reise nach Libyen wurde das automatische Identifikationssystem (AIS) abgeschaltet, das normalerweise Signale aussendet und mit dem man den Seeweg des Tankers hätte verfolgen können. Die letzte bekannte Positionsmeldung gab es am 1. März. Sieben Tage später dockte das Schiff im libyschen Hafen von Es Sider an.
Am Samstag befand sich die "Morning Glory" in Begleitung des Zerstörers "USS Stout" auf dem Rückweg nach Libyen, wo sie am Nachmittag ankam. Dort werden den Kapitän und auch die anderen 20 Besatzungsmitglieder unangenehme Fragen erwarten. Die drei bewaffneten Libyer, die die "Morning Glory" kaperten und vom Team der Navy Seals überwältigt wurden, sollen den Behörden übergeben werden.

Handel mit Israel könnte Todesurteil bedeuten

Sollte sich herausstellen, dass der Eigentümer des Tankers tatsächlich aus Libyen stammt, wäre es ein Skandal im doppelten Sinne. Der illegale Export von Erdöl wiegt allein schon schwer genug.
Was aber mit Sicherheit als noch größerer Affront angesehen wird, ist der versuchte Verkauf nationaler Ressourcen an Geschäftsleute aus Israel. Im Klima des konservativen und auch radikalen Islamismus könnte das das Todesurteil für einen libyschen Eigentümer der "Morning Glory" bedeuten.
Es wäre kein Wunder. In Libyen werden Polizisten und Militärs fast täglich mit "dem Tode bestraft", weil sie staatliche Funktionen übernehmen – und die werden als Widerspruch zum islamischen Recht, der Scharia, aufgefasst.
Was droht dann erst demjenigen, der mit Israel, dem für Islamisten Hauptübel im Nahen Osten und Erzfeind des gesamten Islams, gemeinsame Sache macht?

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