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Assads Folterkammern sind die Hölle

Stundenlang hingen sie in Handschellen an den Armen aufgehängt, wurden mit Elektroschocks an Hinterkopf und Genitalien gefoltert. Überlebende berichten, was sie in Assads Folterkammern durchmachten. Von Alfred Hackensberger, Gaziantep (Türkei)

Zwei Monate lang wurde Mohammed Dschabri gefoltert. Auf ein Blatt Papier zeichnet er einen Plan seiner ehemaligen Zelle und des gesamten Trakts
Foto: Victor Breiner Zwei Monate lang wurde Mohammed Dschabri gefoltert. Auf ein Blatt Papier zeichnet er einen Plan seiner ehemaligen Zelle und des gesamten Trakts
"Es ist alles noch viel schlimmer", sagt Mohammed Dschabri. "Die Opfer auf den Fotos sind als Märtyrer ins Paradies eingegangen. Tausende befinden sich aber noch lebend in der Hölle. Ich weiß, welche schrecklichen Leiden sie erdulden müssen." Der 25-Jährige saß 67 Tage im berüchtigten Foltergefängnis des syrischen politischen Geheimdienstes in al-Maisad, einem Stadtteil von Damaskus.
Nur mit viel Glück hat er die unmenschlichen Verhältnisse und wochenlange Folter überlebt. Mit "Fotos" meint Jabri die erschreckenden Bilder, die weltweit für Entsetzen sorgten. Sie zeigen mit Blut befleckte Leichen, deren Oberkörper mit tiefen, roten Striemen übersät sind und Strangulierungsmerkmale am Hals aufweisen. Insgesamt sind es 55.000 Fotos von 11.000 Opfern, die das syrische Regime auf dem Gewissen haben soll.
Ein Deserteur will das Material aus Syrien herausgeschmuggelt haben. Es wurde von einer Untersuchungskommission auf seine Echtheit überprüft. Ihr Vorsitzender, Sir Desmond de Silva, ehemaliger Chefankläger am Spezialgerichtshof in Sierra Leone, behauptete: "Wir sind überzeugt, dass diese Dokumente echt sind und jedem Gericht standhalten." Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Materials, das Syrien der systematischen Folter und Ermordung von Gefangenen bezichtigt, waren jedoch Zweifel an seiner Authentizität aufgekommen.
Die Londoner Anwaltskanzlei Carter-Ruck und Co., die als Erste die Dokumente sichten konnte und die Untersuchung initiierte, wurde von Katar dafür bezahlt. Das Emirat vom Golf ist, neben Saudi-Arabien und Kuwait, einer der wichtigsten Financiers der syrischen Opposition.
Zu den Klienten von Carter-Ruck und Co. sollen der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, die Islamische Hilfsorganisation (IHH) sowie einige konservative Geistliche aus den Golfstaaten gehören. Sie alle sind Fürsprecher der syrischen Rebellen. "Nein, nein! Man kann sagen, was man will", ruft Dschabri aufgebracht. "Die Fotos sind echt und könnten im Gefängnis von al-Meisad aufgenommen worden sein, in dem ich war."
Der 25-jährige Kommunikationsingenieur war im November 2012 an der syrisch-libanesischen Grenze verhaftet worden. Ein Freund hatte ihn unter der Folter des syrischen Geheimdienstes als Oppositionellen verraten. Schon bei seiner ersten Verhaftung nach einer Demonstration 2011 hatte Dschabri Bekanntschaft mit der Brutalität des Regimes gemacht.

"Wir haben Terroristen gefangen"

Gleich zu Anfang, bei der Überstellung ins Gefängnis, packte man jeden Häftling bei den Haaren und schlug den Kopf gegen die Metallleisten ihrer Sitze. "Wir haben Terroristen gefangen", soll ein Polizist ins Mikrofon seiner Kamera gerufen haben, mit der er alles filmte. "Sie zeichnen alles auf", erklärt Dschabri, "damit sie einen Beweis für ihre Vorgesetzten haben, etwas gegen uns Terroristen getan zu haben." Nach ein paar Tagen und einigen Prügeln war er damals freigekommen. Was aber nach seiner erneuten Verhaftung an der Grenze passierte, wird Dschabri nie vergessen.
"Wir waren 35 Leute in einer neun Quadratmeter großen Zelle", berichtet der Ex-Häftling. "Zum Schlafen musste man sich abwechseln. Acht legten sich neben den Eingang, fünf neben die Toilette. Das war der unangenehmste Platz." Urin und Kot sei ausgelaufen, und wer Verletzungen von der Folter hatte, holte sich schwere Wundinfektionen. "Es war so heiß in der Zelle, dass wir alle nur unsere Unterwäsche trugen."
Man habe aber seine Kleider immer in der Hand behalten, denn man konnte jeden Augenblick in die Folterkammer gerufen werden. Und Schläge auf die Kleider seien leichter zu ertragen als Schläge auf die nackte Haut. An die Zellenwand hatte ein früherer Gefangener den Satz geschrieben: "Wir sind nicht gestorben, aber wir haben gesehen, wer hier gestorben ist."
"Als ich das gelesen habe", sagt Dschabri, und man sieht einen Moment Tränen in seinen Augen, "dachte ich wirklich, hier werde ich sterben."

Ständig mit Kabel oder Stock geprügelt

Sitzen kann Jabri jetzt nicht mehr. Aufgeregt zeichnet er einen Plan seiner ehemaligen Zelle und des gesamten Trakts auf ein Blatt Papier. "Ich werde bei diesen Erinnerungen viel zu nervös", sagt er und zeichnet hektisch Strich für Strich. "Hier ist meine Zelle, da hinten 18 weitere und winzige Einzelzellen, in denen Ratten das Essen und dich selbst anknabbern."
Dann zeichnet er einen Durchgang und sagt: "Hier ist der Metallrahmen, an dem bis zu fünf Häftlinge mit Handschellen an den Armen aufgehängt wurden." Dschabri hing dort mit verbundenen Augen einmal zwölf Stunden, dann 16 Stunden, einmal zwei Tage und noch einmal fünf Tage lang. "Man wird ständig mit einem Kabel oder Stock geprügelt." Einmal sei er mit dem Stock vergewaltigt worden, und man habe ihm anschließend den Stock in den Mund gesteckt. "Na, schmeckt's?", habe der Offizier gefragt.
Ein Aufseher schlief immer im Trakt. Wenn er von Schmerzensschreien aufgeweckt wurde, habe es Extraschläge gegeben. "Ein Offizier war besonders schlimm", stellt Dschabri fest. "Sein Name ist Saleh Ali. Er glaubte, er sei Gott."

Elektroschocks an Hinterkopf und Genitalien

Wenn Jabri nicht am Metallbalken hängen musste, bekam er Elektroschocks am Hinterkopf und an den Genitalien. "Alte oder schwache Personen konnten das nicht aushalten", meint Jabri. Irgendwann habe man ihre Schreie leise verstummen hören. Sie seien dann wohl gestorben.
"Besonders beliebt waren unter den Aufsehern Schläge auf die Fingernägel. Dann sind die Finger so angeschwollen, dass man nicht mehr essen konnte, wenn wir etwas Essbares bekamen." Meistens gab es eine Platte mit Olivenöl für alle. Ausnahme sei Linsensuppe gewesen, die aber so viel Wasser enthalten habe, dass keine Spur mehr von Linsen geblieben sei. "Es war nie genug für alle. Und wie will man ohne Löffel oder Brot essen", fragt Jabri. "Wer länger einsitzen muss, verhungert unweigerlich."
In Dschabris Trakt habe es auch zehn besetzte Zellen für Frauen gegeben. Die Insassinnen, zwischen 16 und 24 Jahre alt, seien von den Wächtern obszön beleidigt und erniedrigt worden. Ob sie, wie andere ehemalige weibliche Gefangene berichteten, vergewaltigt wurden, konnte Dschabri nicht sagen.

Alles reine Willkür

Er erinnert sich noch an einen 13-Jährigen, der in seiner Zelle war. Den Jungen hatte man des Mordes an 15 Polizisten angeklagt. Außerdem sollte er ein Maschinengewehr gestohlen und damit weitere fünf Ordnungshüter erschossen haben. "Als der Junge sagte, er sei viel zu schwach, ein Maschinengewehr zu bedienen, wurde einfach sein Onkel dafür verantwortlich gemacht, der ebenfalls im Gefängnis saß." Alles sei ein System der reinen Willkür.
Dschabri musste sein 15-seitiges Vernehmungsprotokoll mit verbundenen Augen unterschreiben und seine Fingerabdrücke hinterlassen. "Das war bei allen so. Niemand wusste, was die Beamten da reingeschrieben hatten."
Wie durch ein Wunder kam er nach mehr als zwei Monaten Horror wieder in Freiheit. Dschabri gehörte zu den 2250 Häftlingen, die das Regime von Präsident Baschar al-Assad im Austausch für 48 Iraner freiließ, die von syrischen Rebellen gekidnappt worden waren. Heute arbeitet Dschabri für das syrische Revolutionsradio Hawa Smart in der türkisch-syrischen Grenzstadt Gaziantep.

Ein alter Freund war der Folterer

Ahmed Primo, ein anderer Oppositioneller, der sich wie Dschabri friedlich für Freiheit und Demokratie einsetzte, musste ebenfalls dafür einen hohen Preis bezahlen. "Allerdings war ich im Gefängnis Aleppo", sagt der 28-Jährige. "Dort ist es nicht ganz so schlimm wie in Damaskus, aber auch ich wurde systematisch gefoltert. Wie alle anderen in meinem Gefängnis."

Ahmed Primo setzte sich für Freiheit und Demokratie ein. Dafür zahlte er einen hohen Preis
Foto: Victor Breiner Ahmed Primo setzte sich für Freiheit und Demokratie ein. Dafür zahlte er einen hohen Preis 
 
Ahmed ist nicht so gesprächig wie Jabri. Er scheint noch traumatisiert zu sein. Der Medienaktivist ist erst am 9. Januar freigekommen. Er hatte einen Monat in den Kerkern des Regimes überlebt, war aber dann von der Rebellengruppe des Islamischen Staats im Irak und der Levante (Isil) gekidnappt worden. Die Al-Qaida-Gruppe hatte ihn wegen seiner Kritik an der radikalen Organisation 53 Tage festgehalten.
"Sie haben mich gefoltert wie das Regime, mit Elektroschocks unter der Zunge und an den Genitalien. Und aufgehängt wurde ich auch tagelang." Besonders tragisch für ihn war, dass ein alter Freund einer seiner Folterer war. "Wir hatten in den ersten Tagen der Revolution noch miteinander gegen Assad demonstriert. Später ging er dann zu Isil, sagt Ahmed nachdenklich und sichtlich deprimiert.

Keine Rachegefühle

Das Isil-Gefängnis befand sich in einem Kinderkrankenhaus im Stadtteil Kadi Asker in Aleppo. Ahmed hatte großes Glück. Während seiner Haftzeit brachen Kämpfe zwischen der Al-Qaida-Gruppe und Brigaden der Freien Syrischen Armee (FSA) aus. Ahmeds Name stand schon auf der Liste der Gefangenen, die exekutiert werden sollten. Seine Peiniger hatten bereits angekündigt, dass er sterben müsse. Aber es kam alles ganz anders.
Die FSA griff das Kinderkrankenhaus an, Isil musste sich in aller Eile zurückziehen und hatte keine Zeit mehr, ihre Gefangenen zu erschießen. Ahmed wurde gemeinsam mit knapp 200 Mithäftlingen befreit. Er ist heute ebenfalls in Gaziantep. Rachegefühle hegt er weder gegen das Regime noch gegen seinen Freund, der ihn folterte.
"Ich bin kein Soldat und halte auch nicht viel von Waffen. Ich bin auf der Suche nach einer Arbeit, mit der ich mit friedlichen Mitteln für die Revolution kämpfen kann." Zum Abschluss zeigt er seine großen Narben von der Folter an den Händen und Knien. So viel Schmerz, so viel Brutalität. Die Berichte der beiden Männer machen es schwer zu glauben, dass es eines Tages Versöhnung geben könne in einem neuen Syrien.

Geschundenes Land
Foto: Infografik Die Welt
Unzählige Syrer mussten ihre Heimat verlassen. Der Ansturm der Flüchtlinge destabilisiert auch zunehmend die Nachbarländer

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